Das Töten der männlichen Eintagsküken aus Legelinien ist seit Juni 2019 nur noch Übergangsweise erlaubt und ab dem 1. Januar 2022 in Deutschland komplett verboten. Als Alternative wird neben der Geschlechtsbestimmung im Ei unter anderem auf die Aufzucht dieser Hähne ausgewichen oder komplett auf Genetiken mit einer ausgewogenen Lege- und Mastleistung, die sogenannten Zweinutzungshühner, umgestellt.
Den beiden letztgenannten Möglichkeiten ist gemein, dass die Brustmuskulatur dieser Tiere nicht die ansonsten „übliche“ Brustmuskelausprägung von 220 bis 270 Gramm mit mehreren Zentimetern Muskeldicke erreicht. Im Rahmen mehrerer Projektfragestellungen konnte nun ein gangbarer Weg gefunden werden, die Scherkraftmessungen mit einem modifizierten Aufbau des Texture Analysers TA.XTplus (Stable Micro Systems Ltd., Surrey, UK) und dem Meullenet-Owens Razor Shear Blade (MORS-Blade) durchzuführen. Hierbei wurden nicht nur die „flacheren“ Brustmuskeln miteinander verglichen, sondern auch die konventionell erzeugten „großen“ Muskeln der reinen Mastlinien mit einbezogen.
Wie von Lee et al. (2007) publiziert, wird die Scherkraftmessung bei Geflügelfleisch mit gut reproduzierbaren Ergebnissen mithilfe des MORS-Blade durchgeführt. Hierfür dringt das nur 8,9 Millimeter breite und 24 Millimeter hohe Scherblatt üblicherweise genau zwei Zentimeter tief in die Muskulatur ein. Diese Messung wird an mindestens vier Stellen wiederholt und jeweils quer zum Muskelfaserverlauf angesetzt. Die aufgezeichneten Messwerte in zwei Zentimeter „Tiefe“ werden dann als Scherkraft (Peak nach 20 mm, in N) und als Scherenergie (Energieaufwand über die gesamte Messkurve bis 20 mm Tiefe, in N x mm) verwendet und zwischen den Proben verglichen.
Bei den weniger dicken Proben der aufgezogenen Hähne bzw. Zweinutzungstiere konnte die Eindringtiefe von zwei Zentimetern nicht beibehalten und als Vergleichspunkt verwendet werden. Zusätzlich konnte es passieren, dass das MORS-Blade aufgrund der weniger einheitlichen und vor allem aufgrund der zu geringen Muskeldicke Kontakt zum Schertisch bekam und die Messung wegen Überlast abgebrochen wurde. Auch aus Sicherheitsgründen sollte diese Methode keine regelmäßige Anwendung finden.
Die angewendete Modifikation sieht nun vor, dass bei diesen Analysen an flacher Muskulatur immer der geschlitzte Schertisch (Schereinsatz aus dem Messerset HDP/BS) zum Einsatz kommt. Weiterhin wurden folgende Messeinstellungen in Anlehnung an Xiong et al. (2006) und Lee et al. (2008) verwendet:
Parameter | Parameter | ||
Kraftzelle | 5 kg | pre-test speed | 100 mm/min |
Auslösekraft | 10 g | test speed | 600 mm/min |
Datenerfassungsrate | 200 PPS | post-test speed | 300 mm/min |
Wechsel der Klinge nach | 100 Schnitten | Eindringtiefe MORS-Blade | 20 mm |
Tabelle 1. Ausgewählte Messparameter und deren Einstellung bei der Modifikation der Scherkraftmessung bei Hähnchenbrustmuskulatur mit geringer Probendicke mittels MORS-Blade.
Die Proben wurden ebenfalls quer zum Verlauf der Muskelfasern geschert und entsprechend den Einstellungen wurde die Messkurve bis zur Eindringtiefe von 20 Millimetern aufgezeichnet. Die Messungen wurden an sechs Stellen wiederholt, wobei die Schnitte ebenfalls in Anlehnung an Lee et al. (2008) in parallelen Reihen gesetzt wurden (Abbildung 1).
Hinsichtlich der Festlegung der Auswertepunkte für die Scherkraft bzw. die Scherenergie wurde das Folgende definiert: Als Messwert der Scherkraft (in N) wurde der erste Peak der Kurve angesehen, der den Punkt des ersten Nachgebens der Muskelfasern im Rahmen der Scherung repräsentiert. Die Scherenergie (in N x mm) wurde dementsprechend über die Fläche unter der Messkurve bis zu diesem ersten Peak ermittelt (Abbildung 2).
Bei der Durchführung der Messungen hat sich gezeigt, dass die Modifikationen bei Einhaltung einer sorgfältigen Ausrichtung des Schermessers mit Hinblick auf das saubere Durchgleiten des Messers durch den Schlitz im Analysentisch problemlos angewendet werden können.
Im Vergleich zum herkömmlichen Messverfahren mit dem Bezug zum Scherkraftwert in 20 Millimetern Tiefe innerhalb des Muskels und der zugehörigen Scherenergie unter dieser Kurve wurde sich hier von dem festen Parameter der Messtiefe distanziert und die Auswertung auf den Proben-individuellen Punkt des ersten Scherens der Fasern verlagert (Abbildung 3).
Bei der Auswertung wurde ein entsprechendes Makro eingesetzt, bei dem als zentrales Element der erste Wendepunkt berechnet wird (Abbildung 4). Diese Stelle markiert das erste messbare Nachgeben der Muskelfasern bei der Scherung und kann als erfolgreiches „Anbeißen“ des Probenstückes auf den praktischen Lebensmittelverzehr übertragen werden. In unseren Augen eignet sich dieser Augenblick gut für den Vergleich zwischen den unterschiedlich dicken Probenstücken, da dieser erste Eindruck beim Abbeißen eines Stückes auch relevant bei der subjektiven Empfindung der Festigkeit der Probe ist und im Allgemeinen beim bewussten Verzehr stärker ins Gewicht fallen dürfte als die aufzuwendende Kraft beim Einbeißen auf 20 Millimeter Tiefe.
Die Scherenergie lässt sich in Analogie zur üblichen Messung mit dem MORS-Blade natürlich auch bis zu diesem Wendepunkt berechnen. Da hierbei die insgesamt aufzuwendende Kraft bis zum gewählten Endpunkt nach 20 Millimetern ausgewertet wird, dürfte die Aussage dieses Parameters aber vergleichsweise weniger wertvoll sein. Es erscheint sinnvoll, diesen Wert dann über die gesamte Dicke der Probe zu ermitteln und damit den tatsächlich insgesamt benötigten Kraftaufwand für das vollständige Durchbeißen des expliziten Probenstücks zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund ist sicherlich die Fragestellung der Untersuchung entscheidend für die zu wählenden Vergleichsparameter.
Die vorgestellte Modifikation wurde wie zuvor dargelegt zum Vergleich der Scherkraft und der Scherenergiewerte bis zum ersten Nachgeben der Muskelfasern eingesetzt und bei verschiedenen Geflügelgenetiken angewandt. Die Ergebnisse wurden in verschiedenen nationalen und internationalen Publikationen vorgestellt (Siekmann et al. 2018a, b; 2019a, b).
Dies ist ein Gastbeitrag von Frau Dr. Lisa Siekmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Lebensmitteltechnologie und -chemie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Bei Fragen können Sie sich gerne an die Autorin direkt wenden (Lisa.Siekmann(at)tiho-hannover.de).
Referenzen
Lee, Y. S.; Owens, C. M.; Meullenet, J.F.
The Meullenet-Owens Razor Shear (MORS) for predicting poultry meat tenderness: Its applications and optimization. J. Texture Stud. 2008, 39(6), 655–672.
Lee, Y.S.; Saha, A.; Owens, C.; Meullenet, J.F.
Optimal number of replications for the Meullenet-Owens.Razor-Shear (MORS) and tenderness variations between right and left broiler breast. Poultry Science, 2007, 86, 379-378
Siekmann, L.; Krischek, C.
Vergleich der Fleischqualität von Hähnen einer Zweinutzungslinie und einer Legelinie. Teil I: Betrachtung der Mastleistung und Fleischbeschaffenheit männlicher Zweinutzungstiere der Linie Lohmann Dual im Vergleich zu Hähnen aus der Legelinie Lohmann Brown Plus. Fleischwirtschaft 2019a, 9, 112-117.
Siekmann, L., Krischek, C.
Vergleich der Fleischqualität von Hennen einer Zweinutzungslinie und einer Legelinie. Teil II: Betrachtung der Masteignung und Fleischbeschaffenheit von Zweinutzungshennen der Linie Lohmann Dual im Vergleich zu Legehybridhennen der Linie Lohmann Brown Plus nach einer Legeperiode. Fleischwirtschaft, 2019b, 10, 88-92.
Siekmann, L., Janisch, S.; Wigger, R.; Urban, J., Zentek, J., Krischek, C.
Lohmann Dual: A dual-purpose chicken as an alternative to commercial broiler chicken? Aspects of meat quality, lipid oxidation, shear force and muscle structure. European Poultry Science, 2018a, 82, 1-13.
Siekmann, L.; Meier-Dinkel, L.; Janisch, S.; Altmann, B.; Kaltwasser, C.; Sürie, C.; Krischek, C.
Carcass quality, meat quality and sensory properties of the dual-purpose chicken Lohmann Dual. Foods, 2018b, 7, 156.
Xiong, R.; Cavitt, L.C.; Meullenet, J.F.; Owens, C.M.
Comparison of Allo-Kramer, Warner-Bratzler and razor blade shears for predicting sensory tenderness of broiler breast meat. J. Texture Stud. 2006, 37, 179–199.
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